Dschungel-Trekking mit Orang-Utans: Meine Tort(o)ur durch die Wildness

Ruhige Spaziergänge durch dichte grüne Wälder, Orang-Utans in freier Wildbahn beobachten und unter dem Sternenhimmel schlafen.
Ich muss zugeben, meine Vorstellung von einem Dschungeltrip durch Sumatras Regenwälder war eine wild-romantische Phantasie.
In der Realität erwartete mich: ein achtstündiger Kletterparcour bei über 30 Grad, eine halsbrecherische Flucht vor einem wilden Affen und nächtlicher Dauerregen, der unser Camp wegzuspülen drohte.

– Motiviert! Aber aller Anfang ist schwer –

Urlaub ist für mich die schönste Zeit im Jahr. Endlich erholen vom Job. Doch dieses Jahr quäle ich mich gleich zu Beginn freiwillig durch den dichten Urwald Sumatras.

Um kurz nach 5 Uhr morgens werde ich (mein Freund Sebastian ist natürlich auch dabei ☺️) in Medan abgeholt. Der Jetlag macht mir noch zu schaffen. Gerade einmal 36 Stunden ist er her, dass ich gelandet bin. In Deutschland ist es jetzt Mitternacht. Die Fahrt nach Bukit Lawang dauert etwa zwei bis drei Stunden je nach Verkehr. Vor Sonnenaufgang ist schon reges Treiben in Sumatras Hauptstadt. Es riecht stark nach Abgasen, kleine Toyota-Busse fahren Arbeiter zu den umliegenden Palmölplantagen, erste Marktstände bieten schon Obst und Gemüse an.

Es ist Anfang Juni und Ramadan in Indonesien, die Zeit des Fastens. Gut 85 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Im Fastenmonat beginnt der Tag bei den Menschen früh, weil bereits ab 3 Uhr gefrühstückt wird. Danach wird bis Sonnenuntergang nichts mehr gegessen und getrunken. Auch Sex, Alkohol und rauchen sind verboten.

– Affengeil! –

Die Tour startet pünktlich um 9 Uhr. Wir sind insgesamt sieben Personen, fünf abenteuerlustige Urlauber und zwei Guides, Jonny und Andre.

Das Thermometer zeigt schon jetzt 25 Grad an. Der Wind steht still, die Sonne knallt erbarmungslos. Ich überlege, ob ich genug Wasser dabeihabe. 1,5 Liter pro Person wurde mir vorab vom Anbieter empfohlen. Mit dem Kamera-Equipment zusätzlich auf dem Rücken ist auch gar nicht mehr möglich.

Sumatras dichbewachsener Regenwald
Sumatras dichbewachsener Regenwald

Es geht steil hinauf in den Wald. Warmlaufen ist nicht. Der Kreislauf kommt gleich in Schwung. Erste Schweißperlen bilden sich unter meinem Kopftuch. Kleine Moskitos werden durch den Schweißgeruch angelockt. Ich scheuche sie mit meinen Händen weg. Ich schaue hinauf zu den Baumkronen und fühle mich klitzeklein. Gigantische Stämme so dick wie Betonpfeiler einer mehrspurigen Autobahnbrücke ragen in den Himmel. Durch das dichte Blätterdach ist das Blau des Himmels nur zu erahnen. Es raschelt im Geäst. Unser Guide Andre meint, wir sollen ganz ruhig sein. Alle folgen seinem Finger, der nach oben zeigt. Ein Orang-Utan hockt in seinem Nest. Wir verrenken unsere Hälse, um den ersten Affen des Tages zu sehen. Es ist sehr aufregend. Nach knapp 1 1/2 Stunden sehen wir einen Orang-Utan in freier Wildbahn. Doch so richtig Lust vor unseren Kameras zu posieren hat er nicht. Er sitzt ganz ruhig da und beobachtet uns hin und wieder.

Lässig schaut der junge Orang-Utan auf uns hinab
Lässig schaut der junge Orang-Utan auf uns hinab

– Diese Tour wird kein Zuckerschlecken –

Wir wollen mehr Affen sehen und gehen tiefer in den Wald, bergauf und bergab. Jonny geht vorweg, zeigt uns Pflanzen, die nach dem Zerreiben gegen Sonnenbrand oder gegen Mückenstiche helfen. Ich blicke nach hinten und sehe, dass unser zweiter Guide nicht mehr da ist. Wir gehen weiter, es ist kurz vor 12 Uhr. Wir bleiben an einer Wegkreuzung stehen. Es soll geradeaus weitergehen, doch von rechts kommt plötzlich Andre aus einem Busch gesprungen, hebt die Hand und schreit auf Englisch: „Stop“. Kurz darauf kommt von vorne ein Orang-Utan-Weibchen mit ihrem Baby. Das Kleine klammert sich um den haarigen Bauch ihrer Mutter.

Mama und Baby zwingen uns die Route zu ändern
Mama und Baby zwingen uns die Route zu ändern

Ganz gemächlich kommt sie auf uns zu. Da wir nicht in Berührung mit den wild lebenden Tieren kommen sollen (Füttern wurde uns strengstens untersagt), drängt uns Andre weiter zurück. Unser (geplanter!) Weg wird von dem Tier versperrt. Wir müssen die Route ändern und das wird kein Zuckerschlecken.

– Bergauf, bergab, Bergauf, Bergab ... ich habe kein Bock mehr! –

Ich trinke und trinke, doch mein Körper schwitzt sofort wieder alles aus. Das letzte Mal auf Toilette war ich heute Morgen. Ich verspüre seit Stunden nicht den Hauch eines Drangs mich in den Büschen links und rechts von mir zu erleichtern. Jonny hat die Route geändert. Es geht mal wieder bergab - und ich hasse es bergab zu gehen. Je tiefer wir steigen desto feuchter wird die Luft und der Boden. Ich versinke immer wieder mit meinen Schuhen im gelben Lehmboden, ich gehe tief in die Hocke, kralle meine Finger in den Boden und spüre die schlammige Erde unter meinen Nägeln. Ich rutsche teilweise auf meinem Po den Hang hinab, weil ich nicht umknicken will. Unten angekommen stehen wir in einem Flussbett. Die Steine sind glitschig, bieten kaum Halt. Vor uns ragt eine meterhohe steile Wand empor. „Wir müssen da hoch. Dann machen wir Pause“, sagt Jonny. Ich schaue hinauf und merke, wie sich meine Beinmuskulatur anspannt und mein Magen krampft. Ich mustere das „Ungetüm“. Es gibt nichts an dieser Erdwand, an der man sich nur ansatzweise sicher festhalten kann. Ich möchte aufgeben, habe kein Bock mehr weiterzugehen. Ich will da nicht hoch und die müden Gesichter der Anderen sagen das ebenfalls.

– "Dschungeldusche" –

Jonny geht voran und der Tross setzt sich gewollt oder nicht langsam in Gang. Jetzt hänge ich hier am Hang, die Hälfte ist bereits geschafft. Das Tempo der ersten Drei kann ich nicht mithalten. Dabei bin ich eigentlich nicht unsportlich, gehe in Berlin zwei- bis dreimal pro Woche zum Sport. Im Dschungel scheine ich zu versagen aber ehrlich gesagt, juckt mich das momentan nicht. Ich bewege meinen Kopf hastig nach links und rechts, schaue an welchem Wurzelgeflecht ich mich als nächstes hochziehen kann. Es riecht nach feuchter, moderiger Erde. Ich presse meinen Körper dicht an die braune Wand. Nur eine Nasenspitze trennt mich von ihr. Plötzlich wird unsere Aufmerksamkeit nach hinten gelenkt. Ein Orang-Utan folgt uns. Er macht es sich in einer Baumkrone über uns bequem. Zu bequem, wie unser Guide findet und ruft, wir sollen schneller klettern, sonst gebe es gleich eine „Dschungeldusche“. Das Tempo wird unverzüglich angezogen. Ein letzter Blick nach hinten und ein kräftiger Strahl schießt durch die Baumkrone, anschließend plumpst noch ein Häufchen hinunter. Wir jubeln dem Tier zu, wie stolze Eltern, die ihrem Kleinkind beigebracht haben zum ersten Mal aufs Töpfchen zu gehen. Das scheint dem Affen zu gefallen. Er folgt uns über die Baumwipfel. Kurz vor dem Gipfel greift er mit seiner Hand nach dem Rucksack meines Freundes. Das kann wohl nur ein Weibchen sein. SIE lässt schließlich von ihm ab und wir krabbeln erschöpft die letzten Meter an die Spitze.

Was muss, dass muss! Orang-Utan-Weibchen auf der Dschungel-Toilette
Was muss, dass muss! Orang-Utan-Weibchen auf der Dschungel-Toilette

– Fruchtbarkeitstanz –

Das scheint dem Affen zu gefallen. Er folgt uns über die Baumwipfel. Kurz vor dem Gipfel greift er mit seiner Hand nach dem Rucksack meines Freundes. Das kann wohl nur ein Weibchen sein. SIE lässt schließlich von ihm ab und wir krabbeln erschöpft die letzten Meter an die Spitze. Wir sitzen auf Baumstämmen, die kreuz und quer im Wald liegen. Jonny packt aus seinem Rucksack Früchte aus. Stauden mit Minibananen, Mandarinen und Maracujas, die er mit seinem Messer teilt und uns in die Hand legt. Hastig saugen wir alle an dem süß-sauren gelben Inhalt. Zucker, einfach himmlisch. Auch die Bananen stärken uns, die Schalen übergeben wir dem natürlichen Kompost um uns herum. Die Laune in der Gruppe steigt. Die ungewollte Tuchfühlung mit dem letzten Orang- Utan ist Thema. Xaver, ein Deutsch-Italiener, der eine Schwäche für München hat, tauft ihn Gina.

Unsere Guides verteilen Früchte bei der Pause
Unsere Guides verteilen Früchte bei der Pause

Und, als hätte sie ihren Namen gehört, taucht Gina auf einmal zwischen den Büschen auf mit unseren Bananenschalen im Mund. Während sie noch kaut, packen wir schnell alles Essbares zusammen und setzen unsere Tour fort. Ratet mal: Es geht wieder bergab und bergauf. Über eine Stunde lang, dann endlich machen wir eine längere Pause und essen Mittag. Es gibt vegetarisches Nasi Goreng. Auf dem gelben Reis liegen rosafarbene Krupuk-Chip. Da es kein Besteck gibt, benutze ich sie als Löffel und schaufle mir den Reis Happen für Happen in den Mund. Es knistert mal wieder im Busch. Und dann auch noch genau neben mir. Bitte lass es nicht wieder einen Affen sein, hoffe ich inständig, sonst ist auch diese Pause vorzeitig beendet. Es ist ein Sumatra-Pfau. Er stolziert auf uns zu, reckt uns sein Hinterteil entgegen und fächert seine Federpracht vor uns auf und zu. Wahnsinn. Er wiederholt seinen Balztanz immer wieder. Das Essen wird da fast zur Nebensache.

In Bukit Lawang leben nur noch wenige Orang-Utans in freier Wildbahn. Es soll sogar noch einige Sumatra-Tiger und Nashörner geben. Die zeigen sich jedoch nur selten.

– Auf allen Vieren über die Berge –

Wir müssen vor Sonnenuntergang das Camp erreichen. Wir raffen uns auf und verschwinden wieder im tiefen Wald. Es ist immer noch unglaublich schwül. Die Sonne brennt zwar nicht mehr ganz so erbarmungslos auf uns herab, trotzdem strengt jetzt nur noch jeder Schritt an.
Der Blick bleibt trotzdem geschärft. Ein Thomas-Leaf-Affe kreuzt unseren Weg und ein Wildschwein huscht durchs Unterholz.

Seit acht Stunden gehe ich jetzt schon bergauf und bergab. Meine Oberschenkel schmerzen, der Schweiß rinnt mir von der Stirn, die Träger meines Rucksacks scheuern unangenehm auf den Schultern. Ich kraxel auf allen Vieren den letzten 90-Grad-steilen Hügel hinauf, greife von Ast zu Ästchen mit dem Gedanken, wenn der nicht hält, ist der Urlaub vorbei. Ab und an finden meine Füße zusätzlich Halt in kleinen ausgetretenen Erdmulden oder in dicken, freiliegenden Wurzelgeflechten der riesigen Bäume. Oben angekommen erwartet uns plötzlich ein Ausblick der Spitzenklasse. Vor uns erstreckt sich der unendliche Dschungel. Aus einem tiefen Tal erheben sich die kräftigen Mammutbäume, wie eine Armee von Soldaten. Auge im Auge mit der Natur. Saftiges Grün strahlt uns entgegen, der azurblaue Himmel leuchtet über uns. Ich atme ganz ruhig, schließe die Augen und spüre einen warmen Windhauch in meinem Gesicht.

– Sturzflug ins Camp –

Es geht bergab. „Last time“, also ein letztes Mal, verspricht Jonny. Die Sonne geht bald unter. Durch das Kronendach des Regenwaldes scheint gedämpftes Licht. Es zirpt, zwitschert und raschelt an jeder Ecke. Das Laub am Boden knistert bei jedem Schritt. Jetzt bloß nicht übermütig werden auf den letzten Metern, denke ich. Als ich das Camp voller Vorfreude sehe, rutsche ich weg und knalle rücklings auf meinen Allerwertesten. „Aua“, schreie ich, obwohl ich mich mit meinen Händen gerade noch so abstützen konnte. Ich fühle mich schlapp aber das lasse ich mir nicht anmerken. Ich raffe mich schließlich auf und tippele noch vorsichtiger als vorher den Weg runter zum Camp. Ich schmeiße mich mit meiner Kleidung in den kühlen Fluss. Strecke meine Arme nach links und rechts aus, wie ein Marathonläufer, der am Ziel angekommen ist.

Schlafplatz für die Nacht direkt am Fluss
Schlafplatz für die Nacht direkt am Fluss

– Das soll schlimm gewesen sein?! Es geht noch weiter ... –

Die Luft riecht nach Rauch. Die Vorbereitungen fürs Abendessen laufen. Wir sitzen alle zusammen auf einer blauen Plastikplane am Fluss. Vor uns dampfen die Metallschalen mit Essen. Es gibt Curry mit Huhn und Fisch, Tempe, Reis, frittierte Kartoffelbällchen. Die Strapazen des Tages sind so gut wie vergessen. Es fühlt sich an wie in einem Ferienlager.

Ganz schön müde: Sebastian und ich kurz nach der Ankunft im Camp
Ganz schön müde: Sebastian und ich kurz nach der Ankunft im Camp

Gegen 20 Uhr gehen wir schlafen. Unser „Zimmer“ für heute Nacht ist ein aus Bambusholz und Planen gebauter Unterstand. Darin stehen auf einem Lehmpodest Zelte bereit. Ein Unwetter bricht über uns herein. Starkregen und Gewitter. Sechs Stunden lang mache ich kein Auge zu. Ich denke an den Fluss, der vor unserem Lager entlang fließt, wie hoch sein Wasserpegel wohl schon steht? Mit diesen Gedanken bin ich nicht alleine. Unsere Guides halten abwechselnd Nachtwache. Sie gehen regelmäßig mit Taschenlampen herum und prüfen den Wasserstand. Ich beobachte den Lichtkegel, der sich draußen bewegt. Es musste schon einmal ein Camp, weil es zu überschwemmen drohte, mitten in der Nacht evakuiert werden. Gegen 2 Uhr bin ich vor Erschöpfung endlich eingeschlafen.

– Frühstück im tropischen Regenwald –

Kurz vor 6 Uhr stehe ich auf. Ich friere. Die Luftfeuchtigkeit ist unerträglich. Mein Rücken schmerzt. Das Unwetter ist vorbei. Die Sonne scheint. Der Dschungel „dampft“. Nebelschwaden tanzen um die moosbedeckten Baumstämme empor Richtung Himmel. Sonnenstrahlen brechen hindurch und bringen kleine Regentropfen an den Blätterspitzen zum Funkeln.

Die letzten Regentropfen der Nacht glitzern in der Morgensonne
Die letzten Regentropfen der Nacht glitzern in der Morgensonne

Zum Frühstück gibt es „Dschungel-Burger“. Drei Scheiben Toast mit Ei, Käse Tomate und Gurke. Lecker! Nach dem Essen machen wir uns bereit für den Heimweg. Der Muskelkater sitzt noch tief in den Beinen. Jeder Schritt schmerzt. Doch die Strapazen haben sich für dieses unglaubliche Dschungel-Erlebnis gelohnt. Ich gehe selbstbewusster und erfahrungsreicher zurück in die Zivilisation.
Lange war ich mir nicht sicher, ob ich diese Tour noch einmal machen würde. Doch mit ein paar Wochen Abstand betrachtet, ist mein Fazit: Ja! Und ich empfehle es weiter. Der Text kann euch leider nur einen kleinen Einblick in dieses Erlebnis geben. Es gibt Dinge, die einfach nicht in Worte zu fassen sind. Dazu gehört auch diese Dschungeltour, meine persönliche Grenzerfahrung, die ich trotz aller Anstrengungen nicht mehr missen möchte.